Die drei Ebenen des prophetischen Dienstes (Prophetie Teil II)

von Johannes Justus

Bevor ich die Gabe der Prophetie im Neuen Testament weiter erläutere, möchte ich mit diesem Artikel zunächst auf eine Unterscheidung eingehen: Die Gabe der prophetischen Rede ist im Neuen Testament theoretisch jedermann zugänglich (Apg 2,17; 1 Kor 14,24. 31). Allerdings existierten auch Propheten im Neuen Testament und sie machen eine gesonderte Gruppe aus (1 Kor 12, 28f; Apg 21,9f). Nicht jeder, der im Neuen Testament prophetisch spricht ist gleichermaßen auch ein Prophet. Paulus macht eine deutliche Unterscheidung zwischen Personen, die prophetisch reden und Propheten. Demzufolge möchte ich von der Gabe der Prophetie und vom charismatischen Amt oder Dienst des Propheten sprechen.

Diese Unterscheidung wird mit der unterschiedlichen Befähigung der Glaubenden zusammenhängen. Die Prophetie ist wie alle Gaben im Neuen Testament dem einen mehr und dem anderen weniger gegeben. Ein Hinweis darauf findet sich auch in Röm 12,6, wo Paulus erwähnt, dass die Weissagung wie die anderen Gaben nur in einem bestimmten „Maß“ anzutreffen ist. Einige Theologen unterscheiden daher verschiedene Ebenen von Prophetie. Eine Unterscheidung, die ich persönlich befürworte ist die Aufteilung in drei Ebenen von Prophetie, wobei ich erwähnen muss, dass diese Unterscheidung nur als Hilfsrahmen gesehen werden kann, da sich zum einen der Heilige Geist unseren scharfen Systematisierungen entzieht und eine stetige Entwicklung der prophetischen Dienstes stattfinden kann.

Verschiedene Ebenen

Ebene I — die einfache Prophetie

Die einfache Prophetie ist prinzipiell für jeden Christen, der sich nach  Gott ausstreckt, offen. Sie umfasst keine Zurechtweisungen, Anweisungen oder Voraussagen über zukünftige Dinge. Ausnahmen bestätigen natürlich auch hier die Regel. Der Anteil der eigenen Gedanken und Gefühle des Prophezeienden ist auf dieser Ebene noch recht hoch, sodass man in Gemeinden und Kirchen leicht dazu neigt, dieser Form wenig Beachtung zukommen zu lassen. Wir sollten sie allerdings als eigene Art der Prophetie betrachten, die sich weiterentwickeln kann. Je nachdem aus welchem Kontext ein Glaubender kommt, findet diese einfache Prophetie unterschiedliche Bezeichnungen. Manche sprechen davon, dass Gott zu ihnen gesprochen hat oder sprechen von einem Wort Gottes, dass sie erhalten haben. Andere wiederrum haben beim Lesen der Bibel eine besondere Offenbarung der Heiligen Schrift bekommen. Aus meiner Sicht beginnt die Prophetie schon hier.

Ebene II— die Gabe der Prophetie

Die zweite Ebene betrifft Glaubende, die regelmäßig Eindrücke, Träume, Visionen oder andere Arten der Offenbarung empfangen. Hierbei handelt es sich um die Gabe der Prophetie (Röm 12,6; 1Kor 12,10). Diese prophetische Begabung teilt der Geist Gottes an die aus, die unseren Herrn darum bitten (1 Kor 14,24. 31). Diese Prophetien sind in der Regel sehr symbolhaft und treten in Form von Gleichnissen und Rätselbildern auf. Diese Gruppe empfängt regelmäßiger prophetische Informationen als die erste Gruppe. Sie sind in der Gemeinde bekannt, geschätzt und stehen unter der örtlichen Gemeindeleitung. Ein weitverbreiteter Irrtum ist der Gedanke, dass jemandem mit der prophetischen Gabe auch zwangsläufig Leitungsverantwortungen zukommen. Für die Leitung einer Gemeinde ist nicht die prophetische Gabe zuständig, sondern die örtliche Gemeindeleitung. Diese Ebene der Prophetie bewegt sich in der Regel im Rahmen von Ermutigung, Trost und Ermahnung (1 Kor 14,3). Die Prophezeienden wissen auch, dass nicht alles, was sie empfangen von Gott ist, obgleich der Anteil der göttlichen Offenbarung auf dieser Ebene größer sein kann als auf der ersten.

Vor einiger Zeit wurde ich Augenzeuge von folgender Begebenheit. Einem jungen Mann wurde von der Kanzel ein Wort des Trostes zugesprochen. Im späteren Gespräch erfuhr ich von ihm, dass er an demselben Morgen Gott um Trost in seiner problematischen Situation gebeten hat. Als er im Gottesdienst dann direkt angesprochen wurde und erfuhr, dass Gott sein Gebet erhörte und ihn in dieser schweren Phase beisteht, hellte sich seine Seele wieder auf.

Ebene III — das Amt des Propheten

Hier geht es um Glaubende, deren Dienst „in etwa“ dem der alttestamentlichen Propheten entspricht. Während die Gabe der Prophetie ein Geschenk des Geistes Gottes an die einzelnen Glaubenden ist, ist der Dienst des Propheten ein Geschenk Jesu an die gesamte Gemeinde zur Zurüstung der Glaubenden (Eph 4,11-14). Sie dienen oft durch Zeichen und Wunder und die Prüfung ihrer Offenbarungen ergibt immer wieder, dass sie das Wort Gottes zutreffend wiedergeben. Dies bedeutet nicht, dass sie unfehlbar wären. Auch hier gilt der Satz „Prüfet alles und das Gute behaltet.“ (1Thess 5,21) Ihre Glaubwürdigkeit steht selten in Frage, weil sie bereits auf eine große Zahl zutreffender Prophetien zurückblicken können und dadurch ihre Glaubwürdigkeit bestätigt haben.

Da ihre primäre Funktion die Ausstattung und Ausbildung der Gemeinde ist, benötigen sie viel Geduld und Ausdauer. Dieser Dienst hat eine umfangreiche Dimension und ist an viel Verantwortung gekoppelt, was ihn nicht immer einfach macht. Zu der Botschaften des Propheten gehören nicht nur Ermutigung, Trost und Ermahnung, sondern auch Botschaften, die herausfordernd sind. Ein mir gut bekannter Prophet wurde eines Tages an ein Sterbebett geholt. Die Person darin stand an der Schwelle zum Tod. Die Angehörigen beteten sehr intensiv um Heilung und viele waren auch der Überzeugung, dass Gott die betreffende Person heilen würde. Allerdings sprach der Herr zu dem Propheten, dass er die Person auf ihren Heimgang vorbereiten müsse, denn das Ziel unseres Lebens ist die Ewigkeit (1Petr 1,9) und dem Menschen ist es bestimmt zu sterben (Hebr 9,27). Schließlich verstarb die Person auf dem Sterbebett auch. Mit dieser unpopulären Botschaft zog mein Freund viel Kritik auf sich. Er wurde als ungeistlich dargestellt und man sprach ihm sogar den Glauben ab. Diese Erfahrung war auch schmerzhaft für ihn. Dennoch gehört beides zu diesem Dienst: Zeichen und Wunder zu tun, aber auch Botschaften weiterzugeben, die für das irdische Leben nicht zwingend hoffnungsvoll sind. Schließlich ist es unsere Aufgabe, Gottes Wort weiterzugeben und nicht menschliche Worte.

Ich selbst bin vielen Menschen begegnet, die sich auf den Ebenen I und II befinden, und meiner Meinung nach machen diese beiden Gruppen den Großteil derer aus, die in Gemeinden prophetisch reden. Der Dienst des Propheten ist seltener, aber überaus bereichernd für die Gemeinde des Herrn.

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