Warum schweigt Gott?

von Daniel Justus

Christen, die tief in ihrem Glauben verwurzelt sind, verstehen die immense Bedeutung des Gebets. Es ist mehr als nur eine ritualisierte Handlung; es ist ein Dialog mit dem Göttlichen, eine Kommunikation mit dem Allmächtigen selbst. Dieses Gespräch hat eine transformative Kraft, eine Kraft, die das Wesen des Betenden verändert. Christen glauben daran, dass sie nicht nur ihre Worte zu Gott senden, sondern dass auch eine Antwort oder zumindest eine Veränderung in ihnen selbst stattfindet.

Das Gebet ist aber nicht nur eine Einbahnstraße, sondern ein wechselseitiger Austausch zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen. Sie glauben, dass sie durch das Gebet nicht nur mit Gott sprechen, sondern auch etwas bei ihm bewirken können.

 

Gottes Schweigen

Doch in diesem Austausch gibt es auch eine Realität, die nicht ignoriert werden kann: Gott schweigt manchmal. Trotz ihrer festen Überzeugung und ihres aufrichtigen Gebets kann es Situationen geben, in denen Gott nicht in der erwarteten Weise antwortet oder in denen absolute Stille zu herrschen scheint.

In diesen stillen Momenten tendiert man dazu, Gottes Schweigen als seine Abwesenheit zu interpretieren. Die Gedanken kreisen um die Idee, dass fehlende Reaktionen darauf hindeuten könnten, dass Gott nicht zuhört, abwesend ist oder möglicherweise kein Interesse an der persönlichen Kommunikation zeigt.

Sogar Jesus selbst schien solche Augenblicke zu erleben. Die Worte „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Markus 15,34; Matthäus 27,46) drücken eine ähnliche Erfahrung der Gottverlassenheit aus.

Warum schweigt Gott manchmal? Nicht aus Vergessenheit dem Betenden gegenüber, und keinesfalls aus Desinteresse. Es gibt Momente, in denen Gott gute Gründe dafür hat, zu schweigen.

 

Nicht jetzt

Wenn Gott schweigt, könnte es bedeuten, dass er uns mit einem sanften „Nicht jetzt“ antwortet. Unsere Bitten und Wünsche sind oft von einem unmittelbaren Verlangen nach Erfüllung geprägt – wir haben unseren eigenen Zeitrahmen für Gottes Wirken. Doch das „Nicht jetzt“ kann für uns eine Herausforderung sein, da wir uns an schnelle Lösungen gewöhnt haben – ein Leben mit Überholspuren, 1-Tageslieferungen und sofortigen Nachrichten.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass wir uns in einer Welt befinden, in der das Bekommen, was wir wollen, zum sofortigen Standard geworden ist. Ein „Später“ oder „Nicht jetzt“ fällt uns schwer zu akzeptieren. Dennoch sollten wir bedenken, dass es immer Gründe gibt, wenn Gott diesen Weg wählt. Wir sind aufgefordert, Verzögerungen mit Vertrauen und Geduld zu begegnen, denn möglicherweise arbeitet er hinter den Kulissen an unseren Anliegen und setzt die notwendigen Weichen.

Manchmal braucht es Zeit und durchdachte Prozesse, um das Gewünschte herbeizuführen. In der Wartezeit mag es uns entziehen, aber in dieser Zeitspanne geschehen vielleicht genau die Dinge, die für unsere Entwicklung und den Erfolg unserer Bitten notwendig sind. Daher ist es wichtig, das „Nicht jetzt“ mit einem Vertrauensblick auf Gottes Führung zu empfangen.

 

Tieferes Gebet

Ein weiterer Grund für Gottes Schweigen könnte darin liegen, dass er uns zu einem tieferen Austausch ruft. Ein Ruf in intensiveres Gebet, eine Aufforderung zur Stille. Sein Schweigen ist mehr als nur das Ausbleiben einer direkten Antwort auf unsere Gebete. Oft sind wir so in unsere geschäftigen Leben vertieft, dass wir hektisch unsere Anliegen vor Gott bringen und dann weitermachen. Doch er will einer tieferen Konversation. Es ist leicht, inmitten unserer geschäftigen Tage nur Stoßgebete zu senden, aber er möchte mehr. Er ruft nach einer tiefen Unterhaltung, einer Zeit der Ruhe, in der er nicht nur auf unsere Bitten antwortet, sondern auch über andere Dinge mit uns spricht.

 

Vertrauen in uns

Ein weiterer Grund, warum Gott schweigt, liegt darin, dass er uns vertraut.

In Römer 12,2 schreibt Paulus:

„Und gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene!“

Oft wünschen wir uns, klare Anweisungen von Gott in Entscheidungsfragen zu hören. Doch Paulus betont, dass man den Willen Gottes erkennen kann, wenn unser Denken erneuert wird. Man ist dann in der Lage zu prüfen, was gut, wohlgefällig und vollkommen ist.

Bei unserer Entscheidung vor einigen Jahren, umzuziehen, standen viele Fragen im Raum – wohin? was beruflich machen? in welchem Umfeld? Zahlreiche Optionen lagen vor uns. Meine Frau fragte nach meinem Eindruck über Gottes Willen. Ich gestand, es nicht zu wissen, versicherte aber, dass wir eine gute und weise Entscheidung treffen würden. Letztendlich trafen wir auch eine weise Entscheidung.

Nachdem alles feststand, besuchte uns ein Pastor, ein Mann, der nach Besuchen gerne noch betet. Er sah in seinem Gebet offene Türen, viele Möglichkeiten. Seine Worte lauteten: „Gott möchte euch sagen, dass euch mehrere Türen offen stehen. Ihr könnt durch alle hindurch gehen. Alle sind gut und richtig.“

Dieses Bild bestätigte unser eigenes Gefühl, ohne dass wir vorher etwas von Gott gehört hatten.

Manchmal schweigt Gott, weil er uns vertraut – er vertraut darauf, dass wir selbst eine weise und gute Entscheidung treffen.

 

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