Die heilende Kraft der Liebe

Die beste Medizin für den Menschen ist der Mensch

von Irene Justus

Menschen brauchen Menschen. Menschen werden von Menschen verletzt, ausgebeutet, verraten oder gar getötet. Und Menschen werden von Menschen geheilt…

So erging es auch Anatoli Uschomirski, der 1959 als Sohn jüdischer Eltern in Kiew geboren wurde. Kiew ist die Hauptstadt der Ukraine, eine riesige Metropole mit etwa 3 Millionen Einwohnern. Viele davon sind Juden, die meisten assimiliert. Denn mehr als 70 Jahre Kommunismus sind auch an ihnen nicht spurlos vorübergegangen. Die meisten ukrainischen Juden kannten kaum die Geschichte ihres Volkes und wussten nichts vom Gott ihrer Väter.

Nach seiner Bekehrung hatte Gott ihm den Auftrag gegeben, den Juden in Deutschland das Evangelium zu verkünden. Aber er dachte, dass er das genauso gut in Israel tun könnte. Warum gerade in Deutschland? Das fragte er sich oft. Aber Gott ließ ihn nicht lange warten und zeigte ihm, wozu er bestimmt war.

Eines Tages machte er mit seiner Familie einen Ausflug in den Schwarzwald. Als sie nach der Wanderung zum Auto zurückkamen, sah er eine alte Dame, die aufmerksam den Aufkleber an ihrem Auto betrachtete. Darauf war eine Kombination aus Davidstern, siebenarmigem Leuchter und Fisch zu sehen – vermutlich das Zeichen der ersten Judenchristen. Die Frau fragte sehr höflich, was das zu bedeuten habe. Er erklärte ihr, dass wir Juden seien und an Jesus glaubten. Sie hörte aufmerksam zu, und er bemerkte, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte, als sie das Wort „Juden“ hörte.

Dann begann sie zu weinen und erzählte die traurige Geschichte ihres Vaters, der in der Nazizeit eine jüdische Familie, die an Jesus glaubte, versteckt und gerettet hatte und dabei selbst ums Leben gekommen war. Immer wieder wiederholte die Frau die Sätze: „Juden wieder in Deutschland! Juden, die an Jesus glauben – das kann doch nicht wahr sein!“

Da flüsterte der Heilige Geist Anatoli zu: „Diese Frau hat genauso gelitten wie du und findet nun in dir, in deiner Familie und in den Juden, die wieder in Deutschland leben, Versöhnung für ihren großen Verlust. Ihre Worte zeigten ihm, dass nicht die Trauer über den Tod des Vaters überwog, sondern das Staunen über Gottes Handeln und die Ahnung, dass das Opfer des Vaters nicht umsonst war.

Es ist Gottes Chance für beide, Deutsche und Juden, nach den bösen Jahren des Unheils füreinander zum Segen zu werden. Sicher ist das Verhältnis bei manchen durch die Vergangenheit schwer belastet, und was damals geschehen ist, darf niemals verharmlost werden.

Persönlich berührt hat mich der Satz von Anatoli Uschomirski: „Aber in Jesus können wir Juden die Mauer der Schuld überwinden, die zwischen uns steht. So können wir der Welt die versöhnende Kraft seiner Liebe vorleben, damit sie in uns sieht und erkennt, was Lisa Loben in einem Lied so ausgedrückt hat: „Er ist unser Friede, wir sind eins! Er hat uns eins gemacht. Der Zaun ist niedergerissen. Er ist unser Friede, wir sind eins!“

Weil Anatoli diese Berufung in sich trug, wollte er Theologie studieren. Nach dem Studium wurde er Pastor in einer messianischen Gemeinde in der Nähe von Esslingen.

Nach einem Gottesdienst sprach ihn ein älterer Herr an. Schon als er ihn von weitem sah, dachte er: Der alte Mann ist sehr schwer, denn er bewegt sich so, als ob er seit Jahren eine schwere Last auf seinen Schultern trägt. Seufzend reichte er ihm die Hand und flüsterte: „Ich war ein Nazi und habe viele schlimme Dinge getan. Vor einigen Jahren habe ich Jesus in mein Herz eingeladen und um Vergebung gebeten. Dann öffnete mir Gott die Augen für sein Volk. Danke für die gute Predigt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Gott mir meine Sünden gegen sein Volk vergeben will.“

Natürlich musste der Pastor unwillkürlich an seine Verwandten denken, die von den Nazis ermordet worden waren. Ich kann mir vorstellen, dass ihn all diese Erinnerungen überflutet haben…

Der Pastor Anatoli sah in den Augen seines Gesprächspartners den tiefen Schmerz über die Schuld der Vergangenheit und war unfähig, aus eigener Kraft etwas zu sagen oder zu tun. Er schrie innerlich zum Herrn und der rührte sein Herz an, so dass er diesem zerbrochenen Menschen die Hand geben konnte. So trafen sich ihre zitternden Hände. Dann sprach er ihm die Worte des Apostels Johannes zu: „Wenn wir ihm aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns vergibt und reinigt uns von aller Schuld.“ 1Joh.1,9

Sie hätten den alten Mann nachher sehen sollen. Seine Haltung und sein Gang waren völlig verändert! Er hatte seine schweren Lasten Gott übergeben und ihm war sogar von einem Juden vergeben worden. In der Kraft Gottes können wir vergeben, auch wenn wir nicht vergessen.

Gott mutet uns manchmal gerade solche Dinge zu, die uns durch Schmerz führen, um uns zu heilen und auf größere Aufgaben vorzubereiten. Wenn wir in solchen Situationen die geistlichen Barrieren nicht überwinden, werden wir in unserer Zukunft leider immer wieder scheitern. Ich kann mir gut vorstellen, dass so mancher Jude an dieser Stelle verzweifelt ausruft: „Hilfe Jesus, ich bin Jude!“

Vielen von uns geht es ähnlich. Wir wissen, was Gott von uns will. Aber es in die Tat umzusetzen, steht auf einem anderen Blatt.
Auch Mose, von dem wir in der Bibel lesen, hat von Gott einen Auftrag bekommen und ihn mit seiner Hilfe erfolgreich ausgeführt. Am Anfang hatte er große Zweifel: „Warum ich? Ich bin doch viel zu schwach, Gott, warum erwählst du nicht jemand anderen, der stärker ist und mehr Selbstvertrauen hat als ich?
Oder: „Was ist, wenn die Israeliten mir nicht zuhören und mich nicht verstehen? Dann tat er, was Gott ihm gesagt hatte.

Wir haben uns entschieden, den Israeliten zu helfen, damit wir Gottes Auftrag in unserem Leben erfüllen können. Dazu brauchen wir eure Unterstützung und euer Gebet. Dass wir dem Beispiel von Mose folgen und unser Leben ganz unserem Herrn Jesus übergeben, er wird es gut machen.

Wie ihr wisst, unterstützen Johannes und ich gerne Menschen in Israel. Seit einigen Jahren reisen wir nach Israel und begleiten die Gemeinden, die in diesen Jahren entstanden sind. Vielleicht wissen nicht viele, dass wir in Deutschland über 225.000 Jüdinnen und Juden haben.
So ruft uns Gott, dass die einen ihre Berufung in Israel leben und die anderen in Deutschland. Damit Menschen durch Menschen gedient wird. Wie es in Gal 6,2 heißt: “Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“.

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