Warum Erwartungen nicht hilfreich sind

von Johannes Justus

Viele von uns können sich noch sehr gut erinnern, als wir als Kinder unter dem Weihnachtsbaum saßen und e-n-d-l-i-c-h die Geschenke auspacken durften! Das waren mitunter schon sehr emotionale Momente! – Innerhalb von nur wenigen Augenblicken verwandelt sich die Gemütsfassung drastisch. Entweder verändert sich der erwartungsvolle Blick in ein strahlendes Lachen, weil beim Auspacken das sehnlichst erwartete Geschenk sichtbar wird, oder aber ein zu Tode betrübter Blick und Tränen sammeln sich im Gesicht, weil es doch nur Stricksocken oder ein Pullover sind. Dabei kann folgender Zusammenhang festgestellt werden: Je höher die Erwartung an das Geschenk, desto größer die Enttäuschung, wenn sich nicht das Objekt der Begierde im Karton befindet.

So kann daraus die folgende allgemeine Aussage abgeleitet werden: Erwartungen sind potentielle Enttäuschungen. Dabei geht es bei weitem nicht lediglich um Geschenke. Wessen Erwartungen wurden denn noch nicht enttäuscht? Die Eltern wurden den Erwartungen der Kinder nicht gerecht. Aus den Kindern ist vielleicht nicht das geworden, was die Eltern sich erhofft haben. Und ebenso nach dem zutiefst ehrlichen und überzeugten „Ja, ich will, mit Gottes Hilfe“ stellt man durchaus fest: Auch der heißgeliebte Ehepartner hat so seine kleinen Ecken und Kanten, die man vielleicht so gar nicht erwartet hatte. – Familientreffen, Feste, Gottesdienste, christliche Events oder Urlaubsreisen – all das birgt eine Menge Enttäuschungspotential in sich. Doch wie kann ich mich weitestgehend vor Enttäuschungen schützen? Und wie kann ich selbst dazu beitragen, dass ich nicht all zu oft Grund für Enttäuschungen werde?

Was sich hinter dem Begriff „Erwartung“ verbirgt

Betrachten wir zunächst einmal den Begriff der Erwartung. Wie man schon heraushört, haben Erwartungen etwas mit „Warten“ zu tun. So steht eine Erwartung für einen Zukunftsglauben. Es ist ein Zustand des Wartens bzw. Herbeisehnens, was häufig zu einem Gefühl der Spannung führt. Man ist der Annahme, dass sich Dinge in einer bestimmten Weise ereignen oder entwickeln sollten. Letzteres kennzeichnet eine fordernde Haltung, wobei die erwartende Person einen normativen Standpunkt einnimmt. In Bezug auf andere Menschen kann die Haltung der erwartenden Person als passiv und träge beschrieben werden.

Wünsche

In dem Zusammenhang ist es außerdem sinnvoll, auch den Begriff „Wunsch“ näher zu betrachten. „Sich wünschen“ bedeutet: etwas anstreben, anvisieren oder erhoffen. Wie sich noch zeigen wird, ist es häufig besser, sich Dinge zu wünschen als sie zu erwarten, da Wünsche eher aktiver Natur entsprechen.

Erwartungen anderer an mich

Menschen mit Erwartungen an meine Person rechnen mit der Erfüllung dieser. Entspreche ich diesen Erwartungen, dann sind sie zumeist dankbar und glücklich darüber. Kann ich dagegen das gewünschte Ergebnis nicht liefern, begegnet man mir mit Unzufriedenheit und Enttäuschung.

Wenn ich bestrebt bin, andere nicht zu enttäuschen, bzw. ihre Erwartungen zu erfüllen, dann ist es, als gäbe ich diesen Menschen sehr viel Macht über mein Leben. Deshalb sei an dieser Stelle die folgende Frage erlaubt: Kann das richtig sein und will ich das wirklich?

Am Anfang unserer Ehe haben sich meine Eltern häufig in die Erziehung unserer Kinder eingemischt und erwartet, dass wir ihre Ratschläge umsetzen. Eines Tages teilte ich ihnen mit, dass sie zwar ein Recht auf ihre Vorstellung von Erziehung haben, jedoch uns die Freiheit lassen müssen, zu entscheiden, ob wir diese Vorstellung übernehmen oder unsere Kinder auf eine andere Art und Weise erziehen. Sicherlich war es für meine Eltern nicht angenehm, eine derartige Aussage von ihrem Sohn zu hören. Doch schließlich verstanden sie uns. Ihre Absichten waren gut und positiv, denn sie wünschten uns, dass unsere Kinder eine gute und christliche Erziehung bekamen. Diese Werte teilen meine Frau und ich grundsätzlich, doch für die Umsetzung waren wir und nicht sie verantwortlich.

Wir müssen damit leben, dass Menschen von uns enttäuscht sein werden, wenn wir nicht ihre Erwartungen an uns erfüllen. Dabei dürfen wir immer vor Augen haben, dass wir nicht sie enttäuschen, sondern lediglich ihre Erwartungen an uns. Enttäuschung ist bekannterweise die Befreiung von Täuschung. Ich vermute, dass gerade in unseren Kirchengemeinden die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass wir Menschen enttäuschen werden. Sie kommen mit einer bestimmten Erwartungshaltung und Hoffnung, dass man ihren Vorstellungen begegnet und ihre Wünsche befriedigt. Doch gerade die Einzigartigkeit von Menschen und die unterschiedlichen Geschmäcker machen es schier unmöglich, dass alle Erwartungen erfüllt werden können. Dass wir hier in gewisser Weise Menschen enttäuschen werden, ist nicht zu vermeiden. Allerdings sind wir auch nicht dazu berufen, es allen Menschen recht zu machen.

Meine Erwartungen an mich selbst

Nicht nur die Erwartungen anderer Menschen können zur Last werden, sondern auch die eigenen Erwartungen sich selbst. Mir persönlich ist beispielsweise bewusst, dass Wachstum seine Zeit braucht, dennoch wünsche ich mir oft schnellere Resultate in meiner Entwicklung. Aber gerade dadurch setze ich mich nur unnötig unter Druck und steigere meine eigene Frustration. Die Entwicklung des Menschen ist auf allen Ebenen in Prozesse eingebunden, welche in den meisten Fällen ihre Zeit brauchen.

So ist es nicht verwunderlich, dass schon das Buch Prediger sich seinerzeit mit dem Thema beschäftigte und ein ernüchterndes Urteil dazu fällte. Ihm zufolge bleibt uns keine andere Wahl, als zu akzeptieren, dass alles seine Zeit hat und braucht:

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. (Prediger 3,1)

Ich habe mir selbst daher drei Empfehlungen für mein Wachstum gegeben, die ich mir versuche, stets vor Augen zu halten. Gerne teile ich diese auch mit meinen Lesern:

  1. Gehe nicht davon aus, dass du in ein paar Tagen ein weiser oder zutiefst verständnisvoller Mensch werden kannst.
  2. Erwarte nicht zu viel von dir auf einmal. Tue einen Schritt nach dem anderen.
  3. Tue das, was du kannst, aber tue es mit Hingabe.

Meine Erwartungen an andere

Doch trotz alldem bisher Erläuterten ist mir bewusst, dass es wohl nicht möglich sein wird, ganz ohne Erwartungen an andere durchs Leben zu gehen. Erwartungen gehören zum Menschsein einfach dazu. Auch meine Erwartungen an andere Menschen wurden nicht selten enttäuscht und häufig musste ich feststellen, dass sie unangebracht waren.

So mache ich mir immer wieder aufs Neue die alterprobte, goldene Regel aus dem Matthäusevangelium 7,12 zu eigen, wenn es um meine Erwartungshaltung anderen gegenüber geht:

Geht so mit anderen um, wie die anderen mit euch umgehen sollen. In diesem Satz sind das Gesetz und die Propheten zusammengefasst.

Dieser Vers hilft mir, meine Erwartungen aus der Perspektive von anderen zu sehen und sie gegebenenfalls zu korrigieren, damit sie sich nicht zu Enttäuschungen entwickeln.

Der österreichische Schriftsteller Ernst Ferstl stellte diesbezüglich sehr treffend fest:

„Die größten Enttäuschungen haben ihren Ursprung in zu großen Erwartungen.“

 

 

 

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