Fehler und Niederlagen gehören zum Leben dazu. Sie sind unvermeidbar für alle, die Wagnisse eingehen und neue Wege beschreiten möchten. Dabei ist das Scheitern keinesfalls nur für progressive Menschen ein Thema. Es trifft selbst die, welche sich nicht freiwillig auf das Neue und Fremde einlassen, denn auch das Verbleiben im gewohnten Umfeld kann risikoreich sein. Alles in dieser Welt unterliegt dem Wandel. Ob sie es wollen oder nicht, auch die weniger risikofreudigen Persönlichkeiten werden Erfahrungen mit Niederlagen machen müssen.
Die Frage ist also nicht, ob ich in einigen Bereichen meines Lebens scheitern könnte oder werde, sondern wie ich damit umgehe, wenn es passiert. Wie stehe ich wieder auf, nachdem ich gestürzt bin? Diese Fragen zu beantworten, ist wesentlich konstruktiver.
Der amerikanische Unternehmer Ray Dalio sagte zu dem Thema:
„Meiner Meinung nach liegt der Schlüssel für ein gelungenes Leben, zu wissen, wie man Ziele setzt und sich viel vornimmt, besonders auch darin zu wissen, wie man richtig scheitert.“
Doch wie scheitert man richtig? Oder besser gefragt: Wie pflege ich einen Lebensstil des Aufstehens? Wenn ich persönlich über den Umgang mit Scheitern nachdenke, kommen mir fünf innere Handlungen in den Sinn, die mir wichtig geworden sind. Es sind diese Handlungen, die ein Aufstehen erfolgreich machen. Ohne diese Handlungen wird es schwer werden, wieder aufzustehen.
Ehrlich sein
Zunächst einmal ist es wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein. Was ist eigentlich geschehen? Nicht alles, was an mir geschieht, habe ich selbst verursacht. Es ist wichtig, das Ereignis objektiv zu betrachten. Dies ist natürlich leichter gesagt als getan. Häufig hilft es, erst einmal eine Distanz zu dem Geschehenen zu schaffen.
Wenn man das eigene Scheitern genauer betrachtet, steht man in der Gefahr, von zwei Seiten des Pferdes zu fallen. Die einen reden sich das Geschehene schön und machen dabei Aussagen wie beispielsweise: „Ist doch nicht so tragisch“, „So etwas passiert doch jedem einmal“ oder „Eigentlich haben doch die Anderen Schuld daran gehabt und weniger ich selbst“.
Andere sehen das Geschehene schlimmer, als es eigentlich war, und stürzen sich in Selbstverdammnis. Beides ist nicht hilfreich.
Was in dieser Situation sinnvoll ist, ist das Einnehmen einer Art Metaperspektive. Dies gelingt natürlich einfacher, wenn man gute Ratgeber findet, die eine neutrale Position haben. Durch ihre Distanz können sie die Sache mit weniger Emotionen betrachten. Solange ich emotional sehr stark mit meiner Niederlage verbunden bin, bleibt es schwer, sie nüchtern zu betrachten. Es ist allgemein bekannt, dass jeder seine eigene Sicht der Dinge und seine eigene Form der Wahrheit hat. Wenn man emotional verletzt ist, ist dies vielleicht noch mehr der Fall.
Jesus wird im Neuen Testament das Attribut „wahrhaftig“ zugeschrieben (Mk 12,14; Offb 19,11), denn er war unbestreitbar, und galt als absolut vertrauenswürdig. Wahrhaftigkeit ist eine innere Haltung, die nach der Wahrheit sucht.
Ist man daran interessiert, eine Metaperspektive einzunehmen, so sollte man das Prinzip der Wahrhaftigkeit beherzigen, statt das Geschehene zu vertuschen oder zu bagatellisieren.
Verantwortung übernehmen
Ich vermute, die meisten Menschen würden behaupten, dass sie für sich und ihr Leben Verantwortung übernehmen. Doch tatsächlich tun dies nur wenige. Auf diesem Gebiet sind wir Menschen etwas ambivalent. Auf der einen Seite wollen wir unser Leben selbst bestimmen und dulden keine Fremdsteuerung in unserem Leben. Auf der anderen Seite geben wir Fehler und Scheitern nur ungern zu. Viel lieber machen wir die Umstände oder andere Menschen für die eigenen Fehler verantwortlich.
Läuft einmal etwas nicht so, wie es eigentlich sollte, wird schnell der Schuldige gesucht und in der Regel gefunden. Jemanden zur Verantwortung zu ziehen oder für etwas verantwortlich machen, ist inzwischen zu einer gewohnten Handlung im Alltag von Wirtschaft, Politik und auch von Kirchen geworden. Dabei haben wir bei dem Begriff „Verantwortung“ in der Regel negative Assoziationen. So ist es nicht verwunderlich, dass die kurze Frage: „Wer ist dafür verantwortlich?“, unschöne Reaktionen bei allen Beteiligten auslöst. Daher möchte niemand so richtig für etwas verantwortlich sein.
Es kann für den ersten Moment einfach sein, etwas oder jemand anderes für das eigene Scheitern verantwortlich zu machen. Es mag auch einfacher sein, über Dinge zu klagen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, doch ist das absolut nicht zielführend. Bevor ich gleich zu der zielführenden Handlung komme, will ich das noch erwähnen: Diese falsche Herangehensweise scheint sogar modern geworden zu sein. Während vor etwa zwei Jahrzehnten niemand den Begriff „Opfer“ tragen wollte, schlüpfen heute sogar ranghohe Politiker aus allen Lagern nur zu gerne in diese Rolle. Matthias Lohre berichtet in seinem Buch „Das Opfer ist der neue Held“ sehr eindrücklich über dieses moderne Phänomen.
Ein Opfer braucht keine Verantwortung zu tragen. Es muss nicht nachfragen, was es hätte anders machen können, denn es trifft keine Schuld. Stattdessen treffen es Schmerz, Mitleid und die Zuwendung anderer Menschen.
Doch diese Haltung blockiert die persönliche Entwicklung. Die Verantwortung aus den Händen zu geben, bedeutet auch, die Kontrolle über das eigene Leben aus den Händen zu geben. So können Wachstum und Entwicklung nicht stattfinden. Sie finden erst statt, wenn ich meine eigenen Umstände in die Hand nehme. Daher kann ich allen Menschen nur nahelegen, zu vergessen, wer und was alles zu ihrem Scheitern beigetragen hat, und stattdessen selbst die Verantwortung für das Geschehenen zu übernehmen.
Menschen, die bereit sind, die Konsequenzen ihrer Misserfolge oder Fehler zu tragen und das Beste aus ihnen zu machen, offenbaren einen stabilen inneren Kern. Solche Menschen sind es, die bei dem, was sie tun, erfolgreich bleiben werden. Weil sie Verantwortung übernehmen, wird es auch für andere leichter sein, ihnen Verantwortung für Dinge und Menschen zu übertragen.
Loslassen
Es ist nicht immer einfach, sich selbst die eigenen Fehler, Sünden und das eigene Scheitern zu vergeben. Die Erinnerungen an das Vergangene können noch lange am eigenen Selbstwertgefühl nagen. Sowohl eigene Stimmen als auch die Stimmen aus der Vergangenheit melden sich gerne und erinnern uns daran, was geschehen ist. Sie kommen oft wie die Geier angeflogen. Dabei sind wir doch kein Aas, sondern lebendige Wesen. Daher ist es nicht ratsam, sich selbst in der Vergangenheit gefangen zu halten.
Gott tut dies übrigens auch nicht. Bei einem Blick in die Bibel werden wir schnell feststellen, dass er vergeben und vergessen kann. Ein Abschnitt aus dem Alten Testament beschreibt dies sehr eindrücklich:
„Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade! Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.“ – Micha 7,18f
Wenn ich Menschen berate, stelle ich ihnen gerne die Frage, ob man die Zeit zurückdrehen und die Dinge ungeschehen machen kann. Dies ist natürlich eine rhetorische Frage. Wir wissen, dass dies kein Mensch tun kann, daher ist es gut, die Vergangenheit loszulassen. Mit „Loslassen“ meine ich nicht „Verdrängen“, sondern aus ihr zu lernen und sie abzugeben.
Eine Person sagte einmal zu mir: „Was kann ich schon aus dem Unrecht lernen, das an mir verübt worden ist?“ Meine Antwort war: „Einiges.“ Zunächst kann man lernen, wie man richtig handelt und wie nicht. Zudem lernt man, Vergebung zu üben. Die Versöhnung ist etwas, was wir füreinander tun und wofür wir ein Gegenüber brauchen. Die Vergebung benötigt nicht zwingend ein Gegenüber und wir tun sie nicht für andere, sondern für uns. Mit ihr verschwindet Bitterkeit und Zorn aus unserer Seele.
An wen sollte man die Vergangenheit abgeben? Nachdem wir uns ihr gestellt und sie losgelassen haben, können wir sie getrost an unseren Herrn Jesus Christus abgegeben. Er wird das Beste aus ihr machen.
Auch wenn meine Vergangenheit wie eine Ruine erscheint, so ist sie in seinen Augen mehr als das. Sie ist für ihn wie Baumaterial. Für mich kann so manches wie Mist aussehen, doch für ihn ist es wie Dünger, auf dem meine Gegenwart und Zukunft gedeihen werden.
Entscheidungen treffen
Egal, welche Umstände und Herausforderungen uns das Leben bringt, worauf es ankommt, ist, gute Entscheidungen für die vor uns liegende Zukunft zu treffen. Tun wir es nicht, wird es schwer, Erfolg zu haben oder glücklich zu sein. Dies gilt allgemein, aber auch besonders im Umgang mit Scheitern. Zum Aufstehen und zur Veränderung meiner gegenwärtigen Situation brauche ich gute Entscheidungen, sonst bleibt alles, wie es ist, bzw. die Dinge wiederholen sich. Es ist auch nicht sinnvoll zu warten, bis alles von selbst besser wird.
Ich möchte es anhand des folgenden Beispiels erläutern. Eine Person sagte in einem Gespräch zu mir: „Es fällt mir unheimlich schwer, Entscheidungen zu treffen. Ich warte lieber auf günstige Gelegenheiten und harre aus, bis alles passend ist, dann kann ich mich besser entscheiden.“ Ich musste ihr darauf antworten, dass keine Entscheidung auch eine Entscheidung ist: „Jeder von uns trifft eine Entscheidung, dafür oder dagegen. Du hast eine Entscheidung getroffen, da zu bleiben, wo du bist.“
Leider bedeutet, keine Entscheidungen zu treffen, dasselbe wie keine Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen: Man lässt die Umstände über das eigene Leben entscheiden. Keine bewusste Entscheidung zu treffen, ist auch eine Entscheidung – oft die schlechtere. Einige meinen zwar, es sei sinnvoll, auf gute Gelegenheiten zu warten. Andere handeln weiser, indem sie neue Gelegenheiten schaffen.
Ich persönlich empfehle daher, Entscheidungen zu treffen – allerdings mit Verstand, mit Gefühl und mit Geist.
Verstand: Mit dem Verstand zu entscheiden, bedeutet für mich, abzuwägen, was für diese Entscheidung und was gegen sie spricht. Mit welchen Konsequenzen muss ich rechnen? Welchen Vorteil oder Nachteil bringt die Entscheidung für mich und auch für meine Mitmenschen?
Gefühle: Unsere Gefühle können zwar manchmal täuschen, doch benebeln sie unseren Verstand nicht immer. Im Gegenteil. Manchmal machen sie ihn aufmerksam auf das, was wir eventuell übersehen haben. Sie warnen uns vor Situationen, die wir in ähnlicher Form schon erlebt haben und davor, in die gleiche Falle zu tappen.
„Das Herz hat seine Gründe, von denen der Verstand nichts weiß.“ – Blaise Pascal
Geist: Der menschliche Geist sollte immer wach sein. Damit meine ich, dass er die Aufgabe hat, zu prüfen, ob die Entscheidung mit dem Wort Gottes kompatibel ist. Wessen Willen stelle ich bei meiner Entscheidung in den Vordergrund? Nicht immer entsprechen meine persönlichen Wünsche auch dem Willen Gottes.
Aufgeschlossen sein
Aufgeschlossene Menschen öffnen sich für das Neue und Unbekannte. Sie verschließen sich nicht für das Lernen, Wachsen und für die Entwicklung. Wenn man Niederlagen meistern möchte, sollte man für das Neue und Fremde empfänglich sein.
Diese Haltung erfordert Mut. Denn dieses Einlassen auf das Neue und Unbekannte bedeutet auch, wieder ein Anfänger zu sein. Als Anfänger gelingt einem nicht alles auf Anhieb und man muss damit rechnen, den Fehlern und Niederlagen ins Auge zu sehen. Dies ist jedoch notwendig, denn in angenehmen Lebensphasen wächst der Mensch wenig. Im Scheitern und in Krisen jedoch lernt der Mensch am meisten, insofern er bereit ist, wieder aufzustehen und sich zu verbessern.
Aufgrund meines Alters steuere ich langsam auf den Ruhestand und damit auf eine neue Lebensphase zu, die mir noch gänzlich unbekannt ist. In diesem Zusammenhang werde ich oft danach gefragt, was ich aus der für mich neuen Realität machen werde. Ich erwidere dann gerne, dass ich weiterleben werde. Eigentlich machen das doch alle. Doch oft sieht dieses Weiterleben eher dem Warten auf das Ableben bzw. dem Leben auf den Tod hin ähnlich, da man nicht mehr bereit ist, neue Gebiete für sich zu erschließen. Diese fehlende Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln, hat aus meiner Sicht nichts mit dem Alter zu tun, sondern mit der eigenen Aufgeschlossenheit gegenüber dem Neuen.
Ein aufgeschlossener Mensch will etwas dazulernen. Er stellt gerne Fragen, denn er weiß, dass es noch sehr viel gibt, was er lernen kann. Er ist also nicht lediglich lernfähig, sondern in erster Linie lernwillig.
Ich persönlich habe mir die folgende Überzeugung zu eigen gemacht: Das Leben meint es gut mit mir, auch wenn es nicht immer danach aussieht. Diese Einstellung hilft mir, in schwierigen Lebensphasen aufzustehen und sie anzugehen, auch wenn ich hin und wieder mit ihnen hadere. Ist das einfach? Nein! Aber es lohnt sich.