Streiten – aber richtig!

von Johannes Justus

In der Juni-Ausgabe des Geistbewegt!-Magazins durfte ich einen Artikel zum „Streiten“ schreiben. Hier darf ich ihn für euch veröffentlichen.

Konflikte sind etwas Normales

Wer über das Streiten nachdenkt, wird sich sofort an Situationen der eigenen Vergangenheit erinnern. Wir verbinden gewisse Assoziationen und Gefühle damit. Auch bei mir werden sofort Erinnerungen wach und ich stelle mir die Frage, wie ich mich diesem Thema nähern kann, ohne direkt abzuschalten. Der Prophet Jesaja ist mir dabei mit seiner Haltung ein Vorbild (Jesaja 50,4+5). Er hatte sich vorgenommen, stets wie ein Jünger dazuzulernen.

Wo Menschen zusammen kommen, da treffen verschiedene Welten und Ansichten aufeinander. Das ist völlig normal. Wir können Auseinandersetzungen nicht vermeiden. Und darum geht es auch gar nicht. Denn ein Streit kann sehr förderlich sein. Er bringt etwas ans Tageslicht, das besprochen, behandelt und bereinigt werden kann. Oft geht es den Betroffenen hinterher besser. Ein Streit dient dazu, seine vernachlässigten Bedürfnisse und Wünsche kundzutun. Man sagt nicht umsonst: „Unerfüllte Bedürfnisse haben höchste Priorität.“

Auf das „Wie“ kommt es an

Ein konstruktives Streitgespräch zu führen, ist aber nicht einfach. Meistens bringen beide Seiten Emotionen ins Spiel und je größer die Emotionen, desto schwieriger ist ein kontrollierter Streit. Viele meinen, unparteiisch sein zu können. Aber ist ein Mensch tatsächlich in der Lage, sich von allen Vorstellungen zu befreien und einen neutralen Standpunkt einzunehmen? Ich denke, wir sollten eher versuchen, allparteilich zu sein, d.h. alle Interessen zu berücksichtigen. Das ist zielführender.

Es gibt Menschen, die viele Konflikte auslösen und den Streit regelrecht suchen – vielleicht könnte man sie als streitsüchtig bezeichnen. Wenn die beteiligten Parteien dann miteinander kämpfen, ballen sie ihre Fäuste. Doch wer die Faust ballt, kann weder nehmen noch geben. Ich kann keinen für mich gewinnen, den ich besiegt habe. Außerdem: Was ich in und außerhalb von mir bekämpfe, dem gebe ich noch mehr Macht. Andere wiederum vermeiden jede Störung und suchen Harmonie um jeden Preis – sie könnte man vielleicht als konfliktscheu bezeichnen. Häufig findet keine Kommunikation um des „lieben Friedens willen“ statt. Jeder Streit wird gemieden, weil einer der Partner womöglich Angst hat, den anderen zu verlieren. Und schließlich gibt es Menschen, die ihre Konflikte anpacken und auch bereit sind, neue Wege zu gehen – sie könnte man konfliktfähig nennen. Gemeinsam mit ihrem Gegenüber suchen sie nach Lösungen und sorgen aktiv dafür, dass das Zusammenleben gelingt.

„Richtig streiten“ – zwei Beispiele aus der Bibel

In 1. Mose 13 lesen wir von dem Streit, der zwischen den Hirten von (damals noch) Abram und Lot aufgekommen ist. Wenn die Krise auch berechtigt schien, so suchte Abram nach einer Lösung, die für alle Beteiligten gut war und sorgte für eine innere Verbundenheit. Soweit wir die Geschichte einsehen können, vermied Abram pauschale Aussagen („immer“, „nie“, etc.). Er blieb bei sich und suchte die Lösung nicht bei anderen. Er brachte Fakten auf den Tisch und machte einen konkreten Vorschlag: „Willst du nach links, dann gehe ich nach rechts, und willst du nach rechts, dann gehe ich nach links.“ (1. Mose 13,9). Das Anbieten einer Lösung trägt zu einem konstruktiven Streitgespräch bei. Und im besten Falle laufen Auseinandersetzungen auf eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung hinaus.

Sprüche 14,29

„Wer ruhig bleibt, zeigt, dass er Einsicht hat; wer aufbraust, zeigt nur seinen Unverstand.“

Im Neuen Testament erfahren wir etwas über die Meinungsverschiedenheit von Paulus und Barnabas, als es um die Zusammenarbeit mit Markus ging. Sie gerieten scharf aneinander (Apostelgeschichte 15,39). Absolute Aussagen beenden oft eine offene Kommunikation und verschließen den Geist des Menschen. In einem heftigen Streit kann es außerdem schnell zu Beleidigungen kommen. Dies aber lässt kein richtiges Streiten zu. Ein chinesisches Sprichwort bringt es auf den Punkt: „Es ist schwer, in einem Jahr einen Freund zu gewinnen. Doch es ist leicht, ihn in einer Stunde wieder zu verlieren.“

Aus dem weiteren Verlauf der Geschichte wissen wir, dass Paulus den Markus einige Jahre später wieder als Mitarbeiter aufnahm. Versöhnung wurde möglich, weil sie die Vergangenheit haben ruhen lassen. Das Aufwärmen vergangener Fehler ist alles andere als förderlich für die Lösungsfindung. Dennoch gehe ich davon aus, dass sie sich Zeit zum Austausch genommen hatten. Nicht die Zeit heilt Wunden, sondern die Gesprächsbereitschaft beider Seiten. Ein Streit- oder Schlichtungsgespräch sollte nicht zwischen Tür und Angel stattfinden, sondern in einer vertrauensvollen Atmosphäre unter vier Augen. Aufgestaute Unzufriedenheit hingegen kann sich in Wut verwandeln. Irgendwann will sich ein Ventil öffnen und alles herauslassen. Eine derartige Eskalation kann eine Beziehung aber in ihren Grundmauern erschüttern oder sogar zerstören.

Sprüche 17,14

„Der Anfang eines Streites ist wie eine Sickerstelle in einem Damm; man muss ihn schlichten, ehe es zur Katastrophe kommt.“

Ganz wichtig und nicht zu vergessen: Alles beginnt und endet mit ehrlicher Wertschätzung und Lob. Auch beim Streiten gilt: „Der Ton macht die Musik.“

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