Ist der christliche Glaube eine Religion?

von Johannes Justus

Vielleicht hast du schon mal die Aussage gehört: „Das Christentum ist keine Religion, sondern eine Beziehung.“ An dieser Formel halten viele Glaubende unerschütterlich fest. Andere hingegen haben dafür nur Kopfschütteln übrig. Aus ihrer Sicht ist das Christentum der Inbegriff der Religion. Diese Tatsache zu leugnen, ist völlig abwegig. Wie gegenwärtig fast alle Debatten in Deutschland wird diese hier auch gerne hitzig geführt.

Um eine klare Antwort auf die Frage geben zu können, ob das Christentum eine Religion ist, müssen wir beide Meinungen näher untersuchen. Ich will zunächst einmal auf die Definition des Begriffes „Religion“ eingehen und anschließend die christliche Argumentation betrachten.

Definition von Religion

Jeder, der den Religionsbegriff eingehend untersucht hat, wird festgestellt haben, dass es die eine zufriedenstellende Definition des Begriffes „Religion“ nicht gibt. Er hat sich im Laufe der Zeit gewandelt und wird in den verschiedenen Kulturen unterschiedlich verwendet. So wurde beispielsweise der Begriff „Religion“ erst in der Neuzeit mit dem Glauben in Verbindung gebracht. Weiter erscheint das Wort „Religion“ keinesfalls nur im Zusammenhang eines Glaubens an eine Gottheit. Einige der großen Religionen sind monotheistisch, d. h. sie gehen nur von einer Gottheit aus. Andere sind polytheistisch (sie verehren viele Götter), wie beispielsweise in den hinduistischen Religionen. Und in wieder anderen Religionen spielt der Glaube an einen bestimmten Gott oder an Götter kaum bis gar keine Rolle, wie z. B. im Buddhismus. Götter werde im Buddhismus nicht negiert, doch sind sie nicht wirklich hilfreich auf dem Weg ins Nirvana. Manchmal habe ich bei meinen Mitmenschen sogar den Eindruck, dass ganz profane Dinge zu einer Religion werden, wie z. B. Musikkultur, Sport oder politische Ideologien.

Religion umfasst Glaube, Erfahrungen, Ethik, Verhaltensmuster, Weltanschauung, Philosophie, Mythologie, Kosmologie, religiöse Handlungen, Kultur und vieles mehr. Sie umfasst eine große Bandbreite von Komponenten. Diese Komponenten bilden zusammen den Rahmen des Religionsbegriffes.

Der Begriff ist so unscharf, dass in der Religionswissenschaft immer wieder dafür plädiert wurde, auf den Begriff ganz zu verzichten. Dies würde aber das Verständnis von Religionen noch komplizierter gestalten. Wir müssen also akzeptieren, dass die Bedeutung des Wortes „Religion“ nicht einheitlich sein kann und eine Definition immer nur ein Versuch bleibt.

Was ist also Religion im weitgefassten Sinne? Man könnte vielleicht sagen, dass Religion eine Begegnung des Menschen mit einer übernatürlichen oder heiligen Wirklichkeit ist. (Ernst Feil in RGG4)

Ist das Christentum eine Religion?

Wird von dieser Definition ausgegangen, ist das Christentum nichts Anderes als eine Religion, denn im Kern entspricht es dieser Definition. Gott hat sich laut der christlichen Theologie immer wieder dem Menschen offenbart. Seine größte Offenbarung fand in der Menschwerdung Jesu Christi statt. Dass also der christliche Glaube eine Beziehung zu dem einen Gott durch Jesus Christus ist, spricht nicht dagegen, dass es sich dabei um eine Religion handelt.

Warum Christen Religion problematisch finden

Warum tun sich Christen so schwer damit, ihren Glauben als Religion zu bezeichnen? Offenbar wollen sie sich von anderen Religionen absetzen und säkularen Menschen nahelegen, dass der christliche Glaube nicht aus alten Traditionen oder rituellen Handlungen besteht, sondern viel mehr einem aktiven Beziehungsgeschehen zwischen Gott und dem Menschen entspricht. Ihr Anliegen ist berechtigt, denn der christliche Glaube ist kein Leistungsglaube, sondern ein Beziehungsglaube. Ich kann das Anliegen der Christen gut nachvollziehen, aber halte die Argumentationsweise trotzdem für nicht zielführend. Sie ist nicht schlüssig und wird immer wieder auf Widerstand stoßen.

Ich habe weniger Berührungsängste mit dem Begriff „Religion“ und habe auch wenig Berührungsängste mit anderen Religionen. Dass Menschen anderen Religionen angehören, zeigt mir, dass der Mensch ein spirituelles Wesen ist, das den Kontakt mit der übernatürlichen Wirklichkeit sucht und zwar zu allen Zeiten der Geschichte und an allen Orten dieser Welt.

Wie Christen über Ihre Religion sprechen sollten

Wie Paulus auf dem Areopag (Apg 17,22-34) haben Christen mit Menschen anderer Religionen immer eine Gesprächsbasis, denn sie kennen den, nach dem die anderen ebenfalls suchen. Oder wie Paulus es sagt: „Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt“ (Apg 17,23).

Bei Paulusʼ Gespräch mit den interessierten Athenern fällt besonders auf, wie wertschätzend er mit seinen Gesprächspartnern umgegangen ist. Obwohl die Athener eine Vielzahl verschiedener Götter verehrt haben, die ihnen offensichtlich auch unbekannt waren, spricht er sie als „besonders fromme Menschen“ an (Apg 17,22). Leider gelingt es Christen nicht immer, im Gespräch mit Andersglaubenden wertschätzend zu sein. Auch Petrus hat besonderen Wert darauf gelegt, dass Christen anderen Menschen sanft und mit Wertschätzung begegnen, wenn sie Rechenschaft über die Hoffnung geben, die sie erfüllt (1Petr 3,15).

Interessant ist auch, dass Petrus hier das Wort verwendet, von dem der Begriff „Apologetik“ entstammt. Die Apologetik ist eine Disziplin, deren Anliegen es ist, den christlichen Glauben zu verteidigen. Doch ein großer Teil der selbsternannten Apologeten verhalten sich im Gespräch mit ihren Mitmenschen selten, wie Petrus es gefordert hat.

Christen sollten sinn- und respektvoll sowie argumentativ schlüssig, mit Interessierten und Skeptikern sprechen. Das Christentum ist schließlich nicht nur eine Religion von vielen, sondern stellt eine Besonderheit dar, denn ihr Stifter und ihre Geschichte sind besondere Phänomene. Dies werde ich in einem späteren Artikel noch darlegen.

 

 

 

 

 

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